Kognitive Verzerrungen in der forensischen Beweisführung

In Krimiserien erscheinen forensische Beweismittel als objektiv und fehlerfrei, womit in kürzeste Zeit Verbrecher gefasst werden können. Die Zuverlässigkeit von forensischen Analysen ist jedoch sehr abhängig von den Analysemethoden und von menschlichen Entscheidungen: Sind zwei Stimmen von derselben Person? Stimmen diese Fingerabdrücke überein? Stammt die gefundene DNA Spur von dem Verdächtigen?

Wenn Menschen eine Entscheidung treffen, können diese auf einem Gefühl, oder dem Verstand basieren. Je nachdem welches Problem sich stellt und wie wichtig eine richtige Entscheidung ist, wenden wir die passende Denkweise an. Im Alltag reicht es oft aus, mentale Abkürzungen zu verwenden, damit wir nicht unnötig viel Zeit verbringen unsere Entscheidung zu treffen und unser Gehirn nicht zu sehr zu belasten. In komplexeren Situationen muss man jedoch bewusstere und anstrengendere Entscheidungen treffen. Dies sind also Entscheidungen, die wir mit unser Verstand treffen. Manchmal machen wir dabei einen unbewussten Fehler: Wir denken, dass eine Entscheidung auf dem Verstand basiert, aber unbewusst nehmen wir eine Art Abkürzung. Das ist der Punkt, an dem wir kognitive Denkfehler/Verzerrungen (auch bias) begehen. 

Denken Sie an Placebo-Effekte oder Stereotypen: Wir verlassen uns unbewusst auf unsere Erwartungen an eine Pille oder eine bestimmte Person. Oder die selektive Aufmerksamkeit: Wenn zwei Mannschaften zum Beispiel genau das gleiche Fußballspiel sehen, sehen sie nur die Schwalben des Gegners. Durch menschliche Irrtümer und bereits gefasste Erwartungen kann es passieren, dass wir unsere Aufmerksamkeit vor allem Informationen schenken, die diese bestätigen. Andere, widersprechende Information werden jedoch außer Acht lassen. Dieser unbewusste menschliche Fehler können allen passieren. Auch hochmotivierte, hochgebildete und kompetente Menschen wie forensische Wissenschaftler, Verhaltensexperten, und Richter können sich nicht ohne weiteres vor kognitiven Verzerrungen schützen.

Bei der Auswahl, Sammlung, Analyse, Interpretation und Schlussfolgerung von forensischen Beweisen können kognitive Verzerrungen auftreten, die den Prozess beeinflussen können. So kann beispielsweise beeinflusst werden, wie umfangreich oder begrenzt die Suche nach relevanten Informationen durchgeführt wird oder wie die Daten bewertet werden. Wie wir diese Daten beim Testen unserer Hypothesen und Alternativen interpretieren, und inwieweit wir daraus eine objektive Schlussfolgerung ziehen. 

Irrelevante Informationen können uns unbewusst ablenken, zur Illustration nehmen wir ein Experiment: Fünf Fingerabdruckexperten wurden gebeten einen Fingerabdruck von einer Bombe und eines Verdächtigen zu vergleichen. Zusätzlich wurden den Experten mitgeteilt, dass der Verdächtige während des Attentats im Ausland war. So wurde impliziert, dass eine Übereinstimmung eher unwahrscheinlich wäre. Jetzt kommt der Haken: Nicht der Fingerabdruck des Verdächtigen wurde mitgeschickt, sondern ein Fingerabdruck, den der Experte zuvor bereits mal analysiert hatte und als übereinstimmend klassifiziert hatte. Das Ergebnis war verblüffend: Vier von der fünf Experten kamen nun zu einer anderen Schlussfolgerung als zuvor aufgrund der falschen Hintergrundinformationen. Diese Untersuchung zeigt damit eindrucksvoll, dass es auch bei forensischen Beweisen Interpretationsspielraum gibt. Forensische Beweise, wie DNS-Spuren und Fingerabdrücke, können nur dann objektiv interpretiert werden, wenn unser Urteilsvermögen nicht durch zusätzliche Information beeinflusst wird. Nur dann kann eine gute Intra-Rater-Reliabilität hergestellt werden: Derselbe Experte kommt mit denselben Informationen zu demselben Ergebnis.

Auch unterschiedliche Experten sollten bei gleichen Informationen zum gleichen Ergebnis kommen, das wird Inter-Rater-Reliabilität genannt. In den USA wurde daher untersucht wie objektiv Sachverständigen sind, wenn sie von einer der beiden Parteien (Staatsanwaltschaft oder Verteidigung) beauftragt werden. In diesem Experiment engagierten sie 108 forensische Psychologen und Psychiater als Experten, die sich die Akte eines Verdächtigen ansahen und den Täter anhand von zwei weit verbreiteten, gut erforschten Instrumenten zur Risikobewertung bewerteten. Den Sachverständigen wurde vorgegaukelt, sie seien entweder von der Verteidigung oder von der Staatsanwaltschaft beauftragt worden, aber in Wirklichkeit erhielten Alle die gleiche Akte. Diejenigen, die glaubten, für die Staatsanwaltschaft zu arbeiten, neigten dazu, den Tätern höhere Risikowerte zuzuordnen, während diejenigen, die glaubten, für die Verteidigung zu arbeiten, dazu neigten, denselben Tätern niedrigere Risikowerte zuzuordnen;. Ein ziemlich starker Beleg dafür, dass Ihre Berichterstattung möglicherweise gefälscht wurde, ohne dass Sie sich dessen bewusst waren.

Nicht alle Entscheidungen sind am Ende von Denkfehlern beeinflusst, jedoch ist es immer wichtig in alle Richtungen zu schauen, um die Wahrheit zu erfassen. Experten müssen immer den Anwalt des Teufels spielen, verschiedene Szenarien offenhalten und Hypothesen falsifizieren, bevor sie sich eine Meinung bilden. 

Literatur

  • Dror, I. E., Charlton, D., & Péron, A. E. (2006). Contextual information renders experts vulnerable to making erroneous identifications. Forensic Science International, 156(1), 74-78.
  • Murrie, D. C., Boccaccini, M. T., Guarnera, L. A., & Rufino, K. A. (2013). Are forensic experts biased by the side that retained them?. Psychological Science24(10), 1889-1897.